Heute noch aktuell: Das Labor von Justus von Liebig
Justus von Liebig (1803–1873) galt schon zu Lebzeiten als einer der berühmtesten Chemiker und Wissenschaftler weltweit. Als einer der Begründer der analytischen und organischen Chemie hat er diese Naturwissenschaft nachhaltig gestaltet und verändert.
Das historische Labor Liebigs in Gießen, in dem er von 1824 bis 1852 gewirkt hat, ist fast unverändert erhalten und gilt heute als eines der wichtigsten Museen für die Geschichte der Chemie. Die Justus Liebig-Gesellschaft Gießen, Trägerin des Museums, möchte das Liebig Labor daher zum UNESCO-Weltkulturerbe ernennen lassen. Die umfassende Bewerbung dazu wird vorbereitet.
Bahnbrechende Erfindungen
Justus von Liebig ist für viele bahnbrechende Erfindungen bekannt. Die meisten Menschen dürften neben dem berühmten Fünf-Kugel-Apparat, Chloroform und der Herstellung von Silberspiegeln wohl vor allem „Liebigs Fleischextrakt“, „Liebigs Backpulver“, „Liebigs Suppe für Säuglinge“ (Ersatz für Muttermilch) sowie das „Gesetz vom Minimum“ mit ihm verbinden.
In der Universitätsstadt Gießen lässt sich das Leben und Wirken von Liebig in einem einzigartigen Gebäude erkunden: im weltweit ersten chemischen Laboratorium für die universitäre Bildung und Ausbildung auf die experimentelle Forschung und Vorbild für viele spätere Labore. Das Gebäude wird bereits seit 1920 als Museum für chemische Wissenschaften betrieben. Das Liebig-Laboratorium, aktuell durch einen Brand noch etwas lädiert, soll nun zum UNESCO-Weltkulturerbe werden.
Liebigs Laboratorium in Gießen
Das Liebig-Laboratorium steht noch heute an seinem Platz in Wurfweite zum Hauptbahnhof in Gießen, direkt neben dem Mathematikum. Professor Gerd Hamscher, Vorsitzender der Justus Liebig-Gesellschaft Gießen (JLGG) und Professor für Lebensmittelchemie und Lebensmittelbiotechnologie an der Justus-Liebig-Universität, führt durch die ehrwürdigen und geschichtsträchtigen Räume des Labors.
In der Luft liegt ein Röstaroma, einige Laborgegenstände sind nicht nur mit Patina, sondern auch mit einer unschönen Rußschicht bedeckt. „Im Dezember 2022 hat es einen großen Brand gegeben, der vom ehemaligen Vorlesungsraum ausging. Glücklicherweise konzentrierte sich das Feuer auf den Laborbereich, das gesamte Gebäude konnte dank des umsichtigen Einsatzes der Feuerwehr vor weiteren Schäden bewahrt werden“, sagt Gerd Hamscher. Aufgrund der Renovierung ist das museal anmutende Gebäude noch nicht wieder für den täglichen Publikumsverkehr geöffnet, Führungen sind nach Anmeldung aber möglich.
Gerd Hamscher sieht in dem Brand aber auch eine große Chance. „Wir können nun das Gebäude so sanieren, dass wir es energetisch und gebäudetechnisch auf den bestmöglichen Stand bringen sowie kleinere Bausünden der letzten Jahrzehnte wieder in den Ausgangszustand zur Zeit von Liebig versetzen können. Dieser ursprüngliche Zustand ist wichtig, um unseren nächsten großen Meilenstein zu erreichen: Wir wollen das Liebig-Laboratorium zum Weltkulturerbe machen.“
Vor 200 Jahren kam Liebig nach Gießen
Lassen wir zunächst das Leben von Liebig kurz Revue passieren, um die weltweite Bedeutung seines Labors besser zu verstehen. Justus Liebig wurde am 12. Mai 1803 in Darmstadt geboren. 1818 war er als Lehrling zunächst in einer Apotheke in Heppenheim tätig. Ab 1819 studierte er in Bonn und in Erlangen. 1822 zog es ihn dank eines Stipendiums nach Paris. Er wurde dort zu einem Günstling eines der größten Naturforscher aller Zeiten, Alexander von Humboldt. Humboldts Einfluss verschaffte Liebig 1824 eine Stellung als außerordentlicher Professor der Chemie in Gießen, da war er gerade 21 Jahre alt.
In Gießen errichtete er das erste chemische Laboratorium für den experimentellen Unterricht. Dadurch wurde diese Universität zum Fixpunkt des chemischen Studiums. Justus Liebig nutzte sein Labor als Werk- und Lehrstätte gleichzeitig und wurde damit zum Vorbild für alle Zweige der naturwissenschaftlichen Experimentalforschung. 1831 stellte er einen chlorierten Kohlenwasserstoff her, der als Chloroform einen Siegeszug als Narkotikum antrat.
Erfinder des Mineraldüngers
In der Agrikulturchemie konzentrierte er sich um 1840 auf das Wachstum der Pflanzen und das Problem der Düngung. Er fand heraus, dass jede Pflanze für ein optimales Wachstum Nährstoffe im richtigen Verhältnis benötigt und stellte das berühmte Gesetz des Minimums auf. Letztlich war dieses Gesetz auch die Geburtsstunde des Mineraldüngers und veränderte die Landwirtschaft nachhaltig. Im Jahr 1845 wurde er in den Adelstand erhoben, 1852 folgte er dem Ruf nach München. Als hochangesehener Wissenschaftler starb er im Alter von fast 70 Jahren am 18. April 1873 an den Folgen einer Lungenentzündung.
Experimentalvorlesungen und Agrikulturchemie
Die Errungenschaften und wissenschaftlichen Meilensteine von Liebig sind eng mit dem Gebäude in Gießen verbunden. Hier errichtete er die „Mutter aller Labore“, hielt in einem Hörsaal Vorlesungen mit Experimenten und forschte gemeinsam mit seinen Studenten und Doktoranden. Galt die Chemie bis dahin lediglich als reine Experimentierkunst im Rahmen der Naturwissenschaft, so verstand es Liebig, sie zur eigenen exakten Wissenschaft zu erheben.
„Aus aller Herren Länder strömten die Schüler nach Gießen, um bei ihm zu lernen. In seinem Unterricht verknüpfte er Theorie mit praktischen Experimenten, setzte auf begleitende Praktika sowie regelmäßige Prüfungen. Aus seiner Schule entwickelte sich eine große Chemiker-Dynastie“, beschreibt Hamscher die Sogwirkung, die der junge Chemieprofessor seinerzeit entwickelte. Viele seiner Schüler wurden selbst erfolgreiche Wissenschaftler [1]
Liebigs Beitrag zur Elementaranalyse
„Geradezu historisch ist der Beitrag von Liebig zur Elementaranalyse. Hier, in diesem Labor hat er die organische Chemie revolutioniert und hilft bis heute, die Welt nachhaltiger zu machen. Ohne eine präzise organische Elementaranalyse wäre es nicht möglich gewesen, die chemische Zusammensetzung organischer Stoffe zu bestimmen. Die Anfänge dieser Analysemethode haben hier in Gießen ihren Ursprung“, sagt Gerd Hamscher bei der Führung durch die verschiedenen, gut erhaltenen Räume des Gebäudes.
Und natürlich ist das Symbol der Elementaranalyse im Labor auch in echt zu sehen: der von Liebig in Gießen entwickelte Kali- oder Fünf-Kugel-Apparat für die Bestimmung von Kohlenstoff in organischen Substanzen.
Mithilfe dieses Apparates gelang es ihm, das bei der Verbrennung gebildete Kohlendioxid nahezu vollständig in konzentrierter Kalilauge aufzufangen. Das entstehende Wasser wurde in einem mit Calciumchlorid vorgeschalteten U-Rohr quantitativ sorbiert. Beide Apparaturen wurden anschließend mit höchster Präzision ausgewogen. Mit dieser Neuerung konnte er mit seinen Studenten etwa vierzigmal schneller Analysen durchführen als mit den damals gängigen Methoden. Mit dieser verbesserten Elementaranalyse wurde er zum Begründer der organischen Chemie, denn die Bestimmung von Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff in organischen Verbindungen war nun schnell, einfach und präzise möglich.
Ehrenamtliches Team bewahrt das Andenken an Liebig
Diese wissenschaftliche Leistung und überhaupt das Leben in einem „uralten“ Labor wieder lebendig werden zu lassen, dafür sorgt ein ca. 20-köpfiges ehrenamtliches Team der Justus Liebig-Gesellschaft Gießen. Sie ermöglichen den Erhalt und den Betrieb des Gießener Labors von Justus Liebig. Dafür sind Spenden von Privatpersonen und Unternehmen gerne willkommen, zumal auch die Renovierung und Sanierung des Laborbereichs noch nicht abgeschlossen ist. Alle Spenden ab 250 Euro von Privatpersonen bzw. ab 500 Euro von juristischen Personen werden mit einer Plakette auf der Spendentafel im Pharmazeutischen Laboratorium gewürdigt. Diese ist bereits gut gefüllt, es gibt aber auch noch genug Platz für weitere Plaketten.
Unabhängig von den Auswirkungen des oben erwähnten Brandes von 2022 arbeitet die Liebig-Gesellschaft weiter. Mehrere Experimentatoren und eine Experimentatorin lassen außerhalb des Museums („Liebig to go“, öffentliche Auftritte bei Stadtfesten etc.) das experimentelle Flair der Liebig-Vorlesungen wieder auferstehen.
Junge Chemikerinnen und Chemiker bieten Führungen an
Wichtig ist Gerd Hamscher vor allem, dass auch die junge Chemiker-Generation an das Labor herangeführt wird. So bieten Mitglieder des Jungen Chemieforums (JCF) der GDCh Führungen durch das Gebäude an. Für Erstsemester ist eine Führung durch das Labor quasi Pflicht, um auf den Spuren des großen Chemiker-Vorbilds wandeln zu können und von seinem Vermächtnis zu lernen. Wo sonst kann man Chemiegeschichte hautnah erleben, eine fast 200 Jahre alte Laborwelt erkunden und mit eigenen Augen nachvollziehen, wie früher ohne Strom und Internet in einem chemischen Labor gearbeitet wurde?
Das hebt aus Sicht von Hamscher die Bedeutung des analogen Chemiemuseums in einer immer digitaleren Welt hervor. „Es existieren nur wenige Vergleichsobjekte aus dieser Zeit, welche sich in ihrer Bedeutung und ihrem Erhaltungszustand mit dem Gießener Liebig-Laboratorium messen können. Das Liebig-Laboratorium ist nicht das älteste Beispiel, aber das einzige, dessen Funktion als Chemielaboratorium noch authentisch erfahrbar ist“, ist der Lebensmittelchemiker überzeugt von der Eignung des Labors als Weltkulturerbe.
Bewerbung als Weltkulturerbe
Die Chancen stehen nicht schlecht. Ein wichtiger Meilenstein hierzu wurde Ende 2020 erreicht als das Liebig-Museum als erster Ort in Deutschland mit dem „EuChemS Historical Landmarks Award“ ausgezeichnet wurde. Diese Anerkennung würdigt seine Rolle in der Geschichte der Chemie und des europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls zwischen Menschen und Ideen. [2].
Die Auszeichnung als Weltkulturerbe wäre die Krönung für das Liebig-Laboratorium und die Justus Liebig-Gesellschaft Gießen. Schon im Juli 2014 beschloss der Vorstand einstimmig, dass die erforderlichen Unterlagen für einen UNESCO-Weltkulturerbe Antrag erstellt werden sollen. „Wissenschaftsstätten wie das Liebig-Laboratorium waren bisher auf der UNESCO-Welterbe-Liste nicht vertreten“, betont Gerd Hamscher und bekräftigt: „Hinsichtlich seiner Aura ist das Liebig-Laboratorium mit Teilen der originalen Ausstattung, in seinem authentischen Gesamteindruck und als Teil eines städtebaulichen Ensembles einzigartig.“
Er ist überzeugt: „Die Schritte auf unserem ehrgeizigen und langen Weg zum Weltkulturerbe machen das Liebig-Laboratorium attraktiver. Wir intensivieren die Zusammenarbeit mit Stadt, Stadtmarketing, Bürgergesellschaft und insbesondere der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie der Technischen Hochschule Mittelhessen, um gemeinsam unser großes Ziel zu erreichen.“
Digitalisierung des Archivs
Zum Erhalt des Labors und seiner unschätzbaren Wertgegenstände und Dokumente geht der Verein mit der Zeit: So wurde die Digitalisierung von großen Teilen des Liebig-Archivs durchgeführt: ca. 1.800 Briefe und ca. 27.000 Dokumente aus 100 Jahren Museum und davor sind bereits digital archiviert.
Und hoffentlich im Herbst 2025 steht das Labor dann auch wieder allen Besuchern offen. Für Chemikerinnen und Chemiker besteht dann die Möglichkeit, einen Blick auf die Ursprünge der modernen Chemie zu werfen.
Quellen
[1] Liste der Schüler von Justus von Liebig – Wikipedia
[2] Zur Auszeichnung des Liebig-Museums mit dem EuChemS Historical Landmarks Award
Liebig-Museum, Startseite: https://www.liebig-museum.de
Liebig-Museum, Förderung und Mitgliedschaft: https://www.liebig-museum.de/spenden
Kommentare
Keine Kommentare gefunden!