Nachweis chemischer Kampfstoffe: Serumalbumin, das Gedächtnis unseres Körpers

 

Angriffe auf die Zivilbevölkerung und gezielte Attentate auf Einzelpersonen zeigten in den zurückliegenden Jahren den Schrecken auf, der durch hochgiftige chemische Kampfstoffe (CKS) noch immer verbreitet wird. Trotz Verbotes und internationaler Ächtung durch das Chemiewaffenübereinkommen [1] konnten spezialisierte Labore den Einsatz chemischer Kampfstoffe nachweisen [2-4]. Reaktionsprodukte des humanen Serumalbumins (HSA) spielten dabei eine zentrale Rolle.

Forensischer Nachweis von chemischen Kampfstoffen: Wettlauf mit der Zeit

Zu den wichtigsten Vertretern der chemischen Kampfstoffe gehören Hautkampfstoffe (HKS) sowie Nervenkampfstoffe (NKS), die in der Regel aus Organophosphaten (OP) bestehen. Beide Gruppen zeichnen sich durch hohe chemische Reaktionsfähigkeit im Körper aus [5]. Die dabei entstehenden Abbau- und Reaktionsprodukte können als Biomarker zum Nachweis der Vergiftung dienen.

Chemische Kampfstoffe (CKS) reagieren unmittelbar nach Inkorporation mit körpereigenen Proteinen zu Addukten. Dies begründet häufig auch ihre Giftwirkung. Ferner stellt die simple Hydrolyse (Reaktion mit Wasser) eine weitere zentrale Abbaureaktion für CKS dar und trägt somit wesentlich zur Abnahme der Giftkonzentration bei [5]. Es folgt eine recht schnelle Eliminierung der Hydrolyseprodukte aus dem Körper innerhalb von gut einer Woche über den Urin.

Diese abbauenden Effekte erschweren den forensischen Nachweis der Vergiftung, der umso schwieriger wird, je mehr Zeit zwischen Exposition (Giftaufnahme) und Probennahme (Gewinnung von Blut oder Urin) vergeht. Langlebige Addukte sind deshalb von essentieller Relevanz in der instrumentell-forensischen Analytik.

Stabile Proteinaddukte: der Fingerabdruck der chemischen Kampfstoffe

Nach Aufnahme in den Körper bewirken der Hautkampfstoff Schwefellost (SM, früher als Senfgas bezeichnet, Abb. 1) die Alkylierung und Nervenkampfstoffe die Phosphylierung (Anbindung eines phosphororganischen Restes, Abb. 2) von nukleophilen Gruppen in Proteinen [5].

Die meisten dieser Addukte sind sehr stabil und ihre Lebensdauer ist lediglich durch den physiologischen Proteinabbau bestimmt. Sie sind somit Wochen bis Monate nach der Exposition nachweisbar. Humanes Serumalbumin (HSA) gehört daher für die Forensik zu den wichtigsten Proteinen im Blut, da es sowohl mit HKS wie auch NKS langlebige Addukte bildet.

Humanes Serumalbumin (HSA): ein hochkonzentrierter Transporter im Blut

HSA ist im Blutplasma das höchst konzentrierte Protein (ca. 40 mg/ml) und besteht aus 585 Aminosäuren. Es fungiert unter anderem als wichtiges Transportprotein im Blut für viele körpereigene sowie -fremde Substanzen, darunter Fettsäuren, Vitamine, Hormone und Arzneistoffe. Während diese Art der Anbindung nur affinitätsbestimmt an der Proteinoberfläche erfolgt und sich über Dissoziation wieder lösen kann, binden chemische Kampfstoffe dauerhaft kovalent.

Serumalbumin als Fänger von Schwefellost und Nervenkampfstoffen

Die nukleophilen reaktiven Gruppen im HSA sind die Seitenketten bestimmter Aminosäuren (Abb. 1). Thiol/Thiolat in freiem Cystein (Cys), Carboxyl/Carboxylat in der Glutaminsäure (Glu), das Schwefelatom im Thioether des Methionins (Met) und die Stickstoffatome im Histidin (His) sind für SM bevorzugte Reaktionspartner (Abb. 1). Wie in den Reaktionsschemata in Abbildung 1 skizziert, resultiert schlussendlich ein Hydroxyethylthioethyl- (HETE) Rest, der als SM-selektive Modifikation an der Aminosäure gefangen wird [4, 5].

Werden Nervenkampfstoffe oder ihre strukturähnlichen OP-Pestizide im Körper aufgenommen, bilden sich ebenfalls für diese Giftklasse charakteristische Addukte. Über den Mechanismus einer nukleophilen Substitution am zentralen Phosphoratom der Chemischen Kampfstoffe entstehen unter anderem CKS-typische phosphylierte Tyrosin (Tyr)- oder Serinreste (Ser) (Abb. 2) [2, 3].

Modifikationen als Gedächtnis und Indikator der Vergiftung

Da alle oben genannten Modifikationen nicht mit endogenen Substanzen entstehen können, sind sie sichere Indikatoren für die Aufnahme reaktiver Gifte. Auf diese Weise stellt HSA das „endogene“ Gedächtnis der Vergiftung mit chemischen Kampfstoffen dar. Dieses Gedächtnis kann nun ausgelesen werden, um festzustellen, ob und mit welchem Kampfstoff eine Person vergiftet worden ist.

Zum Auslesen wird das HSA-Addukt mit Hilfe von Proteasen enzymatisch in kleine Peptid-Spaltprodukte zerschnitten (Proteolyse). Dabei bleiben die chemischen Modifikationen an den Aminosäuren erhalten [2, 5]. Wie in den Abbildungen 1 und 2 illustriert, lassen sich abhängig von der gewählten Protease unterschiedliche Biomarkermoleküle generieren. Gebundene OP-Reste zeigen Vergiftungen mit NKS an (Abb. 2), während gebundenes HETE die Inkorporation von SM beweist (Abb. 1). Als bewiesen gilt eine Vergiftung dann, wenn mindestens zwei Biomarker in einer Probe unter Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien detektiert worden sind [2].

Moderne Trenn- und Detektionstechnik für den Nachweis

Für die Trennung der Peptid-Biomarker von der Probenmatrix wird die Flüssigchromatographie (LC) eingesetzt. Für deren selektive online-Detektion findet die Tandem-Massenspektrometrie (MS/MS) Anwendung. Die MS/MS-Technik erlaubt die kontrollierte Fragmentierung des Biomarkers in charakteristische diagnostische Bruchstücke, welche in ihrer Gesamtheit ähnlich einem Barcode den eindeutigen Beweis für die Biomarkerstruktur ermöglichen (Abb. 3) [2, 3, 5].

Die Suche geht weiter

Die Suche nach neuen CKS-Addukten stellt einen Forschungsfokus für die forensische Analytik dar. Dies geschieht unter anderem, um das Methodenspektrum generell zu erweitern oder Nachweisgrenzen zu verbessern oder retrospektiv zeitliche Aussagen über den Vergiftungszeitraum treffen zu können. So warten auch zukünftig wichtige Herausforderungen auf ambitionierte analytische Chemikerinnen und Chemiker.

Regierungsdirektor Prof. Dr. Harald John

Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw), München

Quellen

[1] https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Chemiewaffenuebereinkommen/ chemiewaffenuebereinkommen_node.html

[2] John, Thiermann. Journal of Mass Spectrometry and Advances in the Clinical Lab 19 (2021) 20-31.

[3] John, van der Schans, Koller, Spruit, Worek, Thiermann, Noort.Forensic Toxicology 36 (2018) 61-71 (DOI: 10.1007/s11419-017-0376-7, open access)

[4] John, Koller, Worek, Thiermann, Siegert.Archives of Toxicology 93 (2019) 1881-1891.

[5] John, Balszuweit, Kehe, Worek, Thiermann. Toxicokinetic aspects of nerve agents and vesicants. In: “Handbook of Toxicology of Chemical Warfare Agents” 2nd Ed (R. Gupta, ed.), Academic Press/Elsevier, Amsterdam (2015) 817-856.

[6] Richter, Thiermann, John. Analytical and Bioanalytical Chemistry (in press)

Kommentare

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben