Was ist eigentlich… Plexiglas®?

 

Acrylglas, umgangssprachlich auch als Plexiglas bezeichnet, ist DAS Material der Corona-Pandemie. Fast jeder Supermarkt und viele andere Geschäfte mit Kundenkontakt haben inzwischen die durchsichtigen Kunststoffscheiben in ihren Verkaufsräumen eingebaut. Damit werden Kund:innen und Mitarbeiter:innen vor kleinen, möglicherweise virenbehafteten Tröpfchen geschützt, die infizierte Personen beim Niesen und Husten oder Sprechen ausstoßen könnten. 

Gegenüber Glas hat das Material eine Reihe von Vorteilen: Es ist unzerbrechlich und hat ein erheblich geringeres Gewicht als echtes Glas. Außerdem kann man es viel leichter bearbeiten als Glas. Es kann durch Erhitzen gebogen werden und behält seine Firm nach dem Abkühlen bei. Es kann geschliffen, verklebt und auch durchbohrt werden, um zum Beispiel Vorrichtungen zum Aufhängen anzubringen. Es kann in allen möglichen Farbrichtungen eingefärbt werden. Außerdem lässt es sich als sortenreiner Kunststoff sehr gut recyclen. Kein Wunder, dass Acrylglas für Fenster, Türen, Displays und viele andere Anwendungen genutzt wird.

Acrylglas wird von mehreren Firmen hergestellt und vertieben. Die Bezeichnung „Plexiglas“ ist ein Markenname und darf genau genommen nur für Produkte verwendet werden, die von der Darmstädter Firma Röhm GmbH verkauft werden. Aber so wie „Tempo“ sich als Begriff für Papiertaschentücher von verschiedenen Herstellern durchgesetzt hat, wird „Plexiglas“ als Synonym für durchsichtige Kunststoffscheiben verwendet. Acrylglas besteht aus Polymethylmethacrylat, kurz PMMA, die chemische Zusammensetzung wird weiter unten beschrieben.

Die Geschichte von Plexiglas®

Der Name „Plexiglas“ ist untrennbar mit dem Namen des Chemikers Otto Röhm (1876 bis 1939) verbunden, der als Erfinder des Acrylglases gilt [1]. Otto Röhm beschäftigte sich schon in seiner Doktorarbeit, die er 1901 abschloss, mit Polymerisationsprodukten der Acrylsäure. Im Jahr 1907 gründeten er und der Kaufmann Otto Haas in Esslingen die Firma Röhm & Haas, die Produkte für die Leder- und Textilindustrie herstellte. Zwei Jahre später siedelte die Firma nach Darmstadt um, wo ihr Nachfolgeunternehmen Röhm GmbH heute noch tätig ist.

Den Chemiker Otto Röhm beschäftigten weiterhin die Acrylsäure-Derivate, die er schon in seiner Doktorarbeit untersucht hatte. Er war überzeugt, dass sich aus den elastischen, durchsichtigen und wasserunlöslichen Substanzen nützliche Materialien herstellen ließe. Als erste Anwendung eines „Glases“ aus Acrylsäure-Derivaten brachte Röhm Ende der 1920er Jahre eine Substanz auf den Markt, die als Sicherheitsglas für Autoscheiben genutzt wurde. Aber erst in den 1930er Jahren gelang Röhm und seinen Kollegen der Durchbruch: Statt Acrylaten nutzten sie Methacryate als Grundstoff und entwickelten das harte durchsichtige Material Polymethylmethacrylat (PMMA).

Zufällige Entdeckung

Dessen Entwicklung basierte auf einem Zufall: Die Chemiker der Firma ließen versehentlich eine Flasche mit Methylmethacrylat (Methacrylsäuremethylester) am Fenster stehen. Das Tageslicht löste eine Polymerisationsreaktion aus, die ursprünglich durchsichtige Flüssigkeit wurde zu einem festen Block aus Polymethylmethacrylat (PMMA). In vielen weiteren Versuchen wurde ein Verfahren entwickelt, das Methylmethacrylat kontrolliert zwischen herkömmlichen Glasscheiben zu polymerisieren und dünne Acrylglasscheiben zu erhalten. Das neue Material wurde 1933 unter dem Namen PLEXIGLAS® als Marke angemeldet.

Warum PLEXIGLAS®? Darüber gibt die Webseite der Firma Röhm GmbH Auskunft: „Den Namen PLEXIGLAS® leiteten die Kunststoff-Forscher aus dem bestehenden Namen PLEXIGUM ab, mit dem die Kunststoff-Harze und -Lösungen des Hauses bezeichnet wurden. Fasziniert davon, mit PMMA ein „organisches Glas“ erfunden zu haben, nannten sie es PLEXIGLAS®. Damit etablierte sich der Namensbestandteil „PLEX“ als übergeordnetes Markenkennzeichen für Produkte von Röhm & Haas bzw. Röhm“ [2].

Chemische Zusammensetzung von Polymethylmethacrylat (PMMA)

Wie ist PMMA aufgebaut? Lassen wir die technische Herstellung einmal außen vor und tun wir so, als ob wir Moleküle beliebig verknüpfen könnten. Wir beginnen mit der Acrylsäure (1), einer Verbindung mit drei Kohlenstoffatomen und einer C=C-Doppelbindung.

Die bei der Umsetzung von organischen Säuren mit einem Alkohol (R-OH) entstehenden Produkte heißen Ester und Ester der Acrylsäure (Acrylsäureester) werden als Acrylate (2) bezeichnet.

Fügen wir der Acrylsäure (1) an ihrem mittleren Kohlenstoff-Atom eine Methylgruppe (-CH3) hinzu, kommen wir zur Methacrylsäure (3).

Wenn wir die Methacrylsäure mit Methanol (CH3-OH) umsetzen, erhalten wir Methacrylsäure-Methylester, auch Methylmethacrylat (MMA) genannt (4).

Jetzt müssen wir das Methylmethacrylat noch polymerisieren, das heißt, viele Einheiten aneinanderknüpfen. Das geschieht über eine radikalische Polymerisation, die z.B. durch UV-Licht ausgelöst werden könnte, so wie bei der ungeplanten Polymerisation am Fenster, die oben beschrieben wird. Aber auch durch eine chemische Reaktion kann ein sogenanntes Radikal erzeugt werden, ein Teilchen mit einem einzelnen Elektron, das sehr reaktionsfreudig ist und die Reaktion in Gang setzt. Dabei wird die Doppelbindung zwischen den beiden Kohlenstoff-Atomen geöffnet und das randständige Kohlenstoff-Atom verknüpft sich mit dem mittleren Kohlenstoff-Atom des nächsten Methylmethacrylat-Moleküls. Wir bekommen also eine Kette aus vielen verknüpften Methylmethacrylat-Molekülen, das Polymethylmethacrylat PMMA (5), deren mit "n" markierte Einheit sich viele Male wiederholt. (Die Abbildung ist nicht maßstabsgerecht und soll nur die Bindungen verdeutlichen.) 

Vielseitige Polymere

Acrylglas-Materialien werden durch Guss- oder Extrusionsverfahren hergestellt. Beim Gussverfahren (rechts), z.B. für Acrylglasscheiben wird der flüssige Ausgangsstoff Methylmethacrylat (MMA) in eine Form gegossen etwa zwischen zwei Glasplatten, die einen definierten Abstand zueinander haben. Dann wird die Polymerisation durch einen chemischen oder thermischen Prozess gestartet und die flüssige Masse erhärtet. Bei der Extrusion wird Acrylglas als Granulat aufgeschmolzen und anschließend durch eine formgebende Öffnung gepresst.

Neben Polymethylmethacrylat gibt es unzählige weitere Polymere, die wir alle jeden Tag verwenden. Die Struktur der Polymere wurde von 100 Jahren zum ersten Mal von dem Chemiker Hermann Staudinger beschrieben. In unserer Rubrik Makromolekulare Chemie werden die Polymere und ihre Anwendungsmöglichkeiten vorgestellt. Wir werfen aber auch einen Blick auf die Nachteile, die sich durch den vielfältigen Einsatz von Polymeren ergeben.

Dr. Karin J. Schmitz

Leiterin GDCh-Öffentlichkeitsarbeit


In der Reihe „Was ist eigentlich…“ stellen wir in leicht verständlicher Form chemische Substanzen vor, die jeder kennt oder fast jeder benutzt. Alle Beiträge der Reihe: https://faszinationchemie.de/chemie-ueberall


 

Dieser Beitrag wurde auf FaszinationChemie erstmalig veröffentlicht am 15.09.2020

Hinweis der Redaktion: Kommentare von Leserinnen und Lesern sind willkommen. Beiträge, die aber nur dazu dienen, auf eine kommerzielle Webseite zu verweisen, werden nicht veröffentlicht. 

Kommentare

  • Roswitha Harrer
    am 18.09.2020
    Danke für die schöne Erklärung!
  • ünter Lattermann
    am 19.01.2024
    Die kommerzielle Herstellung von Plexiglas - über die Synthese in Labor oder Technikum hinaus - erfolgte erst ab 1935. Dies ist wichtig z. B. für die Datierung früher Objekte in Sammlungen, Museen.
    • kjs (Redaktion Faszinationchemie.de)
      am 22.01.2024
      Danke für den Hinweis. Wir haben die entsprechende Angabe im Beitrag präzisiert.

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