Flüssige Polybutadiene: Spezialisten mit breitem Einsatzgebiet

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Flüssige Polybutadiene bilden sich aus dem Monomer Butadien. Sie zeichnen sich durch die große Vielfalt ihrer synthetischen und strukturellen Eigenschaften aus. Deshalb lassen sie sich in vielen Gebieten einsetzen. Sie helfen, Autos sicherer und Häuser energiesparender zu machen. Und auch im digitalen Wandel haben sie ihren Platz.

Chemie des Butadiens als Monomer

Butadien ist ein Molekül, das aus einer kurzen Kette von vier Kohlenstoffatomen besteht und somit zu den Kohlenwasserstoffen gehört. Es enthält zwei Doppelbindungen, die sowohl an den Kohlenstoff-Positionen 1,2 als auch 1,3 verknüpft vorliegen können. Das Monomer wird petrochemisch, also aus Erdgas bzw. Erdöl, durch Extraktion beim Steamcracking-Verfahren gewonnen. Je nach Zusammensetzung des Rohgemisches variiert die Art und Ausbeute der Extraktion.
Als Monomer ist Butadien ein farbloses, stechend riechendes Gas, das als gesundheitsgefährdend und krebserregend eingestuft ist. Dies ändert sich, sobald es zu Polymeren umgesetzt wird. Die entstehenden Polybutadiene sind in der Regel kennzeichnungsfrei.
 

Unterschiedliche Verfahren zur Polymerisation

Die chemische Industrie stellt die Polybutadiene mittels Polymerisation des Butadiens her. Hierfür nutzt sie unterschiedliche Verfahren wie zum Beispiel die anionische, kationische, radikalische und metallkatalysierte Polymerisation, wobei die kationische Methode nur eine untergeordnete Rolle spielt. 

Am häufigsten eingesetzt wird die anionische Polymerisation. Dabei reagiert 1,3-Butadien unter Einsatz von metallorganischen Alkyllithium-Verbindungen (z.B. Butyllithium) zu langkettigen Polymeren. Eine andere Variante der anionischen Polymerisation nutzt Natrium als Initiator. Mit der anionischen Methode kann die Industrie wichtige Eigenschaften flexibel einstellen, zum Beispiel das Molekulargewicht.

Die radikalische Polymerisation dient überwiegend zur Herstellung von Polybutadienen mit Hydroxygruppen. Hier initiieren Peroxide die Reaktion, das Wachstum der Kohlenstoffkette lässt sich mit dem entsprechenden Lösungsmittel kontrollieren. 

Zur Polymerisation von Butadien mittels metallkatalysierter Verfahren werden im Gegensatz zur anionischen Polymerisation bevorzugt Übergangsmetalle wie Titan, Nickel oder Cobalt in Kombination mit Aluminiumalkylhalogeniden wie Ethylaluminiumsesquichlorid vewendet. Zu den wichtigsten Vorteilen des metallkatalysierten Verfahrens zählt die Möglichkeit, Mikrostrukturen zu erreichen, die nur mit dieser Methode hergestellt werden können.
 

Ein Monomer – Etliche Möglichkeiten

Für den industriellen Einsatz ist die Mikrostruktur der Polybutadiene besonders von Bedeutung. Die Mikrostruktur beschreibt das Verhältnis der Doppelbindungen in der Polymerkette zueinander. Sie unterscheiden sich in 1,2- und 1,4-verknüpften Einheiten sowie der relativen Stellung der Doppelbindungen zueinander. Hieraus ergeben sich drei mögliche Strukturmerkmale: 1,2-vinyl, 1,4-cis und 1,4-trans. 

Durch geschickte Wahl der Reaktionsparameter können die Verhältnisse der Strukturelemente gezielt gesteuert werden. So entstehen aus demselben Ausgangsstoff Polymere mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften. Die Vulkanisation, also die Vernetzung mit Schwefel bei hohen Temperaturen, bevorzugt Polybutadiene mit hohen 1,4-cis-Gehalt. Vinylgruppen hingegen vernetzen sich eher mit Peroxiden oder UV-Licht.

Einzigartig vielseitig

Obwohl die Bandbreite an Strukturen und Eigenschaften der flüssigen Polybutadiene nahezu grenzenlos scheint, haben die einzelnen Polymere einiges gemeinsam. Das Rückgrat der Polybutadiene besteht ausschließlich aus stabilen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Verbindungen, wodurch sie sich durch eine hohe chemische Beständigkeit auszeichnen, zum Beispiel gegen Säuren und Basen. Als reine Kohlenwasserstoffe sind sie hydrophob, also wasserabweisend. Aus Mangel an polaren Gruppen ergibt sich damit eine niedrige Leitfähigkeit und umgekehrt eine gute Isolationseigenschaft.
Die Kombination ihrer Eigenschaften und die strukturelle Vielseitigkeit sind unter den Polymeren einzigartig. Ein Grund, warum diese Polymerklasse schon seit Jahrzenten existiert und sich dennoch immer wieder neu erfindet.

Anwendungen mit Zukunft

Heute nutzt die Industrie die flüssigen Polybutadiene vor allem im Bereich der Kleb- und Dichtstoffe.

Reine Polybutadiene, also ohne funktionelle Gruppen, werden in der Automobilindustrie als sogenannte Bodyshop Adhesives angewendet. Diese sind Klebstoffe, die in der Massenfertigung Karosserieteile miteinander verbinden. Hierfür müssen die schwefelvernetzbaren Massen eine hohe innere Beständigkeit aufweisen und gut auf Stahl haften. Dies gewährleisten Polybutadiene, die mit Maleinsäureanhydrid modifiziert sind. Die polaren Gruppen sorgen dafür, dass das Material besser auf dem Stahl haftet und sich somit mit der Oberfläche verbindet.

Die Bauindustrie setzt hydroxyterminierte Polybutadiene (HTPB) in Zweikomponenten Polyurethan-Dichtmassen (2K PU) ein, die zur Mehrscheibenisolierverglasungen dienen. Sie haften gut auf Kunststoffen und besitzen eine niedrige Wasserdampfdurchlässigkeit. Damit garantieren sie, dass keine Feuchtigkeit zwischen die Scheiben gelangt und sich dort als Kondensat niederschlägt. 

Ein wachsender Anwendungsbereich sowohl für reine als auch hydroxyterminierte Polybutadiene ist die Elektroindustrie. Diese profitiert von deren chemischen Beständigkeit, ihrer Wasserdampfundurchlässigkeit, der Eigenschaften zur elektrischen Isolation und Flexibilität auch bei tiefen Temperaturen. Reine Polybutadiene werden zum Beispiel in Vergussmassen für Kabelschuhe zur Verbindung von Unterwasserkabeln verwendet. Hydroxyterminierte Polybutadiene dienen als 2K PU-Masse für die Abdichtung von Sensoren. Besonders für den Schutz der Sensoren setzt die Automobilindustrie auf die vielseitigen Eigenschaften der flüssiger Polybutadiene. Denn mit dem Trend des autonomen Fahrens steigt die Zahl der Sensoren und somit die Anforderungen an deren Verlässlichkeit im Hinblick auf unsere Sicherheit.
 

Autor: Dr. Kai-Steffen Krannig (Evonik Resource Efficiency GmbH)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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