Kationische Polymerisationen

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Reaktionsbedingungen

Die kationischen Polymerisationen gehören, ebenso wie beispielsweise die anionischen und die radikalischen Polymerisationen, zu den sogenannten Kettenpolymerisationen. Bei diesen Polymerisationen wird das Wachstum einer polymeren Kette dadurch erreicht, dass fortwährend Monomere an die wachsende Kette angeknüpft werden. Das Kettenwachstum verläuft dabei ohne die Abspaltung niedermolekularer Nebenprodukte. 

Thermische Initiatoren

Das aktive Zentrum der wachsenden Kette ist ein Kation; dementsprechend fungieren neben Carbeniumsalzen auch Bronsted- und Lewis-Säuren als Initiatoren für kationische Polymerisationen. Bei der Auswahl eines Initiators ist besonders zu berücksichtigen, dass das korrespondierende Anion keine oder nur geringe Nukleophilie aufweist, sodass keine kovalente Anbindung des Anions an das aktive Zentrum der wachsenden Kette erfolgt: Dies würde zu einem sofortigen Abbruch des Kettenwachstums führen. Geeignete Anionen mit geringer Nukleophilie sind beispielsweise Phosphate, Tosylate oder Hexafluorophosphate.

Monomere für die kationische Polymerisation

Insbesondere elektronenreiche Olefine (also Verbindungen mit ungesättigten C=C-Doppelbindungen und geeigneten Substituenten) und zyklische Moleküle mit ringständigen Heteroatomen sind geeignete Monomere für die kationische Polymerisation. Einige Monomere für die kationische Polymerisation sind beispielhaft in untenstehender Abbildung angeführt.

Polymerisation und Copolymerisation

Idealerweise erfolgt das Kettenwachstum in kationischen Polymerisationen bis zum vollständigen Verbrauch aller in der Reaktionsmischung vorhandenen Monomere. Liegt in der Reaktionsmischung nur eine Art von Monomer vor, beispielsweise Isobuten, wird während der kationischen Polymerisation das Homopolymer Poly(isobuten) gebildet. 
Wenn in der Reaktionsmischung verschiedene Monomere mit vergleichbarer Reaktivität vorliegen, werden statistische Copolymere gebildet, also Copolymere, in denen die Monomere in einer rein statistischen Reihenfolge in die Polymerkette eingebaut sind. 
Liegen in der Reaktionsmischung verschiedene Monomere mit signifikant divergierender Reaktivität vor, werden gegebenenfalls auch Blockcopolymere gebildet, also Copolymere, die aus einen ersten Block mit Wiederholungseinheiten des reaktiveren Monomers und einem zweiten Block mit Wiederholungseinheiten des weniger reaktiven Monomers aufgebaut sind. Alternativ können, unter geeigneten Reaktionsbedingungen, solche Blockcopolymere auch synthetisiert werden, indem die zweite Art von Monomer erst nach vollständigem Verbrauch der ersten Art von Monomer zur Reaktionsmischung zugegeben wird.

Abbruch des Kettenwachstums in kationischen Polymerisationen

Die kationische Polymerisation kann jederzeit durch die Zugabe eines Anions mit hoher Nukleophilie, beispielsweise Chlorid- oder Hydroxid-Anionen, beendet werden. Das Anion wird kovalent an das kationisch geladene Zentrum der wachsenden Kette gebunden, sodass dieses nicht mehr aktiv ist. Typische Reagenzien, die der Reaktionsmischung zum Abbruch der Polymerisation zugegeben werden können, sind Wasser, Alkohole oder Säureanhydride. 
Bei kationischen Polymerisationen sind zusätzlich auch immer Nebenreaktionen zu berücksichtigen, die den Abbruch des Wachstums einer Kette bedingen können: Wenn vom aktiven Zentrum einer Kette ein Proton abgespalten wird, wird eine ungesättigte Verbindung gebildet und das zuvor kationische Zentrum ist nicht mehr aktiv. Umgekehrt kann das abgespaltene Proton aber auch das Wachstum einer neuen Kette initiieren, sodass weiterhin Monomere für das Kettenwachstum verbraucht werden. Dadurch wird eine höhere Anzahl kürzerer Ketten gebildet als ohne das Auftreten dieser Nebenreaktion.
 

Einsatz in der großtechnischen/industriellen Produktion

Industriell wird die kationische Polymerisation von elektronenreichen Olefinen zur Herstellung von Poly(isobuten), Butylkautschuk (einem Copolymer aus Isobuten und Isopren) und Poly(vinylether)n eingesetzt. Diese Polymere werden vielfältig eingesetzt, beispielsweise in Luftschläuchen, Kabelisolierungen, in der Klebetechnik, als Bestandteil von Kaugummi und zur Lederpräparation sowie zur Herstellung von Leimen und Lacken. Das aus der kationischen Polymerisation von Trioxan hergestellte Poly(oxymethylen) wird auf Grund seiner mechanischen Eigenschaften in Reißverschlüssen, Zahnrädern, Gehäuseteilen und Isolatoren eingesetzt. Poly(oxymethylen) wird zudem für die Produktion von Playmobil® verwendet. Aus der kationischen Polymerisation von Lactid wird Polylactid gewonnen, das biologisch abbaubar/kompostierbar ist und daher Einsatz in der Verpackungsindustrie, Landwirtschaft und Medizintechnik findet.

Photochemische kationische Polymerisationen

Gegenstand aktueller Forschung auf dem Gebiet der kationischen Polymerisationen sind sogenannte kationische Photoinitiatoren, z.B. Crivello-Salze. Anders als bei den eingangs beschriebenen (thermischen) Initiatoren handelt es sich bei diesen Photoinitiatoren um eine Klasse von Verbindungen, die bei Raumtemperatur erst durch die Bestrahlung mit UV-Licht aktiviert werden und hochreaktive Supersäuren bilden. Das Anion der Supersäuren kann nicht kovalent an das aktive Zentrum einer wachsenden Kette binden, sodass diese Supersäuren als Initiator für kationische Polymerisation dienen können.

Autor: Priv.-Doz. Dipl.-Chem.Univ. Dr.rer.nat. Frank Wiesbrock (Polymer Competence Center Leoben GmbH, Österreich. Technische Universität Graz, Institut für Chemische Technologie von Materialien, NAWI Graz)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

Kommentare

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben