Nachwachsende Rohstoffe für die Polymerchemie II

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Die wichtigsten chemischen Stoffklassen, die in großen Mengen aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden können und für Anwendungen in der Polymerchemie geeignet sind, sind Kohlenhydrate (Cellulose, Hemicellulose, Stärke, niedermolekulare Kohlenhydrate), Fette und Öle (Fettsäuren mit unterschiedlicher Anzahl und Position der Doppelbindungen, sowie ggf. funktionellen Gruppen), Terpene, Proteine und Lignin. Ein Überblick über die vorhandenen nachwachsenden Rohstoffe und einige ausgewählte Beispiele der daraus hergestellten Polymere findet sich in Abbildung 1.

In jedem Haushalt zu finden: Polylactide

Die wohl bekanntesten und auch kommerziell erhältlichen Polymere, die auf nachwachsenden Kohlenhydraten basieren, sind Polylactide oder Polymilchsäuren (kurz: PLA, vom Englischen: poly(lactic acid)). Sie werden aus stärkehaltigen Pflanzen wie Mais durch Fermentation von Stärke gewonnen. Dabei wird zum Beispiel Milchsäure gebildet, welche zum zyklischen Diester der Milchsäure, dem Lactid, umgesetzt wird, bevor dieses zu PLA polymerisiert werden kann.7 Aufgrund seiner Eigenschaften kann PLA petrochemisch gewonnene Kunststoffe, insbesondere im Bereich von Verpackungen (Folien, Luftpolsterverpackungen), beim Catering (Trinkbecher für Kaltgetränke, Strohhalme) und in der Medizintechnik (Nägel, Schrauben, Platten, Stents und Nahtmaterial), ersetzen. PLA kann recycelt werden und ist außerdem chemisch und biologisch abbaubar (kompostierbar bei hohen Temperaturen).8

In Bezug auf die Umweltbilanz zeigt sich, dass durch PLA eine Einsparung von Treibhausgasemissionen um bis zu 40 % im Vergleich zu herkömmlichen Polymeren wie Polyethylen (PE) oder Polyethylenterephthalat (PET) erreicht werden kann.

Fette und Öle als Rohstoffquelle

Eine weitere Klasse von nachwachsenden Rohstoffen, die für die Polymerchemie nutzbar gemacht werden kann, sind Fette und Öle (siehe Abbildung 1). Insbesondere Sojabohnen, Ölpalmen, Raps, Sonnenblumen oder Rizinusöl, das aus den Samen des tropischen Wunderbaums erhalten wird, enthalten große Mengen an Triglyceriden.9 Theoretisch können diese über Estergruppen an Glycerin gebundenen Fettsäuren aus nahezu allen Pflanzen gewonnen werden, die Zusammensetzung der Triglyceride variiert jedoch stark von Pflanze zu Pflanze. Dennoch stellen pflanzliche Öle eine gut verfügbare und chemisch recht einheitliche Rohstoffquelle von meist C-18 Fettsäuren mit unterschiedlicher Anzahl und Position von funktionellen Gruppen dar. Triglyceride werden durch Umesterungen in Fettsäureester und Glycerin umgewandelt. Glycerin, das dabei als Nebenprodukt anfällt, kann anschließend z.B. als Quervernetzungsreagenz bei der Herstellung von Harzen verwendet werden, während die Fettsäuren aufgrund ihrer funktionellen Gruppen gut polymerisiert werden können.10 Sie weisen häufig Doppelbindungen oder andere funktionelle Gruppen, wie beispielsweise Hydroxylgruppen auf, die für Polymerisationsreaktionen verwendet werden können. Die natürlich vorhandenen internen Doppelbindungen können auf vielfältige Weise polymerisiert werden, beispielsweise über Thiol-En-Reaktionen, Acyclische-Dien-Metathese, Epoxidierungen oder radikalische, sowie kationische oder anionische Vernetzungsreaktionen.11 Eine weitere typische Verwendung von Fettsäuren ist die Umsetzung zu α,ω-Diestern oder α,ω-Diolen, die wiederum durch konventionelle Polykondensationen zu Polyestern umgesetzt werden. Die direkte Nutzung von Fettsäuren für die Herstellung von Polyestern wird allerdings dadurch limitiert, dass bei der Umsetzung zu α,ω-funktionalisierten Monomerbausteinen häufig eine beträchtliche Menge an Nebenprodukten entsteht, da die Doppelbindungen in den Fettsäuren nicht endständig vorhanden sind.12 Das kann insbesondere durch die selektive katalytische Isomerisierung der Doppelbindungen umgangen werden, wodurch die gewünschten endständigen Doppelbindungen in einer Gleichgewichtsreaktion erhalten und nahezu quantitativ und selektiv in situ funktionalisiert werden können. Biobasierte Polyester können zwar bezüglich der Herstellungskosten noch nicht mit Petrochemie-basierten Polyestern konkurrieren, ihre chemische und thermische Resistenz, sowie ihre Abbaubarkeit sind allerdings interessante Eigenschaften, die sie zu wertvollen Materialien machen.13 Weitere Anwendungsbereiche für Triglyceride sind die Synthese von thermoplastischen Elastomeren oder auch von Vitrimeren.14 Da viele Triglyceride auch für Nahrungsmittel genutzt werden, ist es von ausgesprochener Bedeutung, dass die Flächennutzung für den Anbau der Pflanzen zur Polymersynthese nicht mit dem Anbau für die Produktion von Nahrungsmitteln in Konkurrenz steht. Ein Lösungsansatz, der daher erforscht wird, ist die Biosynthese von Fettsäuren in nicht zum Verzehr geeigneten Algenarten, die bereits große Mengen an Triglyceriden herstellen können.15

Terpene

Terpene sind Bestandteil von ätherischen Ölen, welche aus Pflanzen gewonnen werden (siehe Abbildung 1). Als gemeinsames strukturelles Merkmal haben sie die Isopreneinheit in ihrer chemischen Struktur.16 Das bekannteste Beispiel eines Polyterpens ist der Naturkautschuk, der aus Polyisopren besteht und in großen Mengen in Plantagen gewonnen wird. Andere Terpene werden im Vergleich in sehr viel geringeren Mengen für die Polymersynthese eingesetzt. Insbesondere Terpentin und Limonen werden für die Polymerchemie verwendet. Terpentin besteht hauptsächlich aus α- und β-Pinen und wird aus Pinien extrahiert. Limonen hingegen wird aus den Schalen von Zitrusfrüchten gewonnen17 und kann als kostengünstiger Duftstoff z.B. in Haushaltsreinigern verwendet werden. Terpene können mit herkömmlichen Methacrylat-Monomeren copolymerisierisiert werden18 oder alternativ zunächst funktionalisiert werden, um anschließend in einer Polymerisation verwendet zu werden. Dies wurde am Beispiel von Limonen demonstriert, welches zunächst zu Limonenoxid oxidiert wurde und anschließend in einer Copolymerisation mit Kohlenstoffdioxid zu Poly(limonencarbonat) umgesetzt wurde.19 Die Nachteile von terpenbasierten Polymeren sind ihre häufig schlechten mechanischen Eigenschaften, die durch das typischerweise recht geringe Molekulargewicht der erhaltenen Polymere zustande kommen. Insbesondere für Poly(limonencarbonat) konnte jedoch gezeigt werden, dass hohe Molekulargewichte und dadurch auch gute mechanische und thermische Eigenschaften erreicht werden können.19 Vor Kurzem konnte gezeigt werden, dass sich die auf diese Weise erhaltenen Polymere gut verarbeiten lassen und ihre Eigenschaften selbst beim Umschmelzen nicht verlieren, sodass sie potentiell recycelt werden konnten.20 Neben dem Einsatz zur Synthese von Polymeren können Terpene auch als Lösungsmittel zum Recycling herkömmlicher Polymere verwendet werden. Mithilfe von Limonen konnte beispielweise ein Polystyrol Trinkbecher zunächst gelöst und anschließend zu einem neuen elastomeren Kunststoff vernetzt werden, der wiederum zu einer Smartphonehülle geformt werden konnte.21 Aus Terpenen, die aus Tulpen und Minze gewonnen werden können, werden thermoplastische Elastomere hergestellt, die gute mechanische Eigenschaften aufweisen, deren E-Module vergleichbar mit herkömmlich hergestellten petrochemisch-basierten Polymeren und deren Reißdehnungen sogar höher sind.22

Kohlendioxid als Rohstoff

Neben pflanzenbasierten Rohstoffen, können auch Treibhausgase wie CO2 für die Synthese von Polymeren nutzbar gemacht werden (Abbildung 1), wodurch letztlich auch dazu beigetragen wird, die Emissionen von CO2 in die Atmosphäre zu reduzieren. Das Treibhausgas wird mit anderen Rohstoffen zu Polymeren umgesetzt, wobei bis zu 50 % des Gewichts des fertigen Polymers aus CO2 stammen können.19,23,24

Autoren: Dr. Katharina S. Wetzel, Prof. Dr. Michael A. R. Meier
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Organische Chemie (IOC) und
Institut für Biologische und Chemische Systeme – Funktionale Molekulare Systeme (IBCS-FMS)
Redaktionelle Bearbeitung: Maren Mielck, GDCh

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Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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