Polymere auf Oberflächen – Charakterisierung im nm-Bereich

 

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Für eine Reihe von Anwendungen ist die Funktionalisierung von Oberflächen mittels dünner Polymerschichten ausgesprochen zielführend. Als Beispiele seien Wirkstoffeinlagerung und gezielte Freisetzung im medizinischen Bereich, mechanisch flexible Leuchtdioden (OLED) oder taktile Oberflächen genannt. Um die Funktionalisierung von Oberflächen durch Polymerbeschichtungen steuern zu können, muss der Zusammenhang zwischen Struktur, Dynamik und Funktionen verstanden werden. Dafür bedarf es einer kontrollierten Synthese und Präparation sowie geeigneter Methoden für eine detaillierte Charakterisierung der Struktur und Dynamik auf der mesoskopischen Skala (1 bis einige 100 nm). Der Fokus dieses Artikels liegt auf der Charakterisierung planarer Grenzflächen.

Polymerbeschichtungen unterschiedlicher molekularer Architektur

Abgesehen von der chemischen Zusammensetzung können die Struktur und Dynamik der Beschichtungen durch die molekulare Architektur der Polymere stark beeinflusst werden. Ein prominentes Beispiel für Polymerbeschichtungen sind Polyelektrolytmultilagen, die durch abwechselnde Adsorption von Polyanionen und -kationen aus wässrigen Lösungen hergestellt werden. Diese Präparationsmethode erlaubt eine Filmdickenkontrolle im sub-Nanometerbereich. Insbesondere als umgebungssensitive Beschichtungen werden häufig Polymerbürsten verwendet. Die Polymerisation findet entweder von der Oberfläche aus statt (grafting from) oder Polymerketten werden auf die Oberfläche adsorbiert (grafting to). In den vergangenen 15 Jahren haben zunehmend Beschichtungen aus adsorbierten Mikrogelen (i.d.R. Hydogelpartikel) Interesse erlangt. Kombinationen aus verschiedenen Architekturen sind ebenfalls interessant, um z.B. verschiedene Kompartimente mit unterschiedlicher Struktur zu erzielen. Neben diesen eher hydrophilen Beschichtungen, deren Präparation maßgeblich aus wässrigen Lösungen erfolgt, werden hydrophobe Polymere aus organischen Lösungsmitteln häufig mittels Spin-coating aufgebracht.

Charakterisierung der Struktur

Senkrecht zur Oberfläche: Die vordergründigen Strukturparameter sind Dicke, Dichte und Rauigkeit der Polymerbeschichtungen. Zur Bestimmung der Dicke eignen sich Reflexionsmethoden wie Ellipsometrie im Labor, Röntgenreflektometrie im Labor oder am Synchrotron sowie Neutronenreflektometrie am Forschungsreaktor oder an einer Spallationsquelle. Die Quarzkristallmikrowage (QCM) eignet sich indirekt über die Bestimmung der adsorbierten Masse ebenfalls zur Dickenbestimmung. Für alle genannten Methoden liegt die maximal detektierbare Dicke bei 150 bis 200 nm. Größere Filmdicken bis zu einigen Mikrometern können mittels Eindrücken (indentation) einer AFM-Spitze bestimmt werden. Die minimal messbare Dicke von Polymerschichten liegt zwischen 1 nm (Röntgen- und Neutronenreflektometrie) und ca. 5 nm (Ellipsometrie). Der Kontrast, d.h. der Brechungsindexunterschied zwischen angrenzenden Materialien bestimmt neben apparatetechnischen Merkmalen das Auflösungsvermögen der jeweiligen Methode. Der Brechungsindex ist bei Röntgenstreuung direkt mit der Elektronendichte verknüpft und bei Neutronenstreuung mit der Streulänge der jeweiligen Isotope und deren Dichte. Der Brechungsindex gibt Aufschluss über die Dichte der Polymerbeschichtung. Die Rauigkeit kann mittels Röntgen- und Neutronenreflektometrie im Bereich von einigen nm sowie mit dem Rasterkraftmikroskop (AFM) im Bereich bis zu Mikrometern ermittelt werden.

Laterale Struktur: Die bisher genannten Methoden geben Aufschluss über die Struktur senkrecht zur Oberfläche. Laterale Strukturen können durch Abrastern der Oberfläche mittels AFM vermessen werden. Die lokale Auflösung hängt vom Krümmungsradius der AFM-Spitze ab und liegt in der Größenordnung von nm.
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In Streuexperimenten wird das nicht-spekulare Streusignal (off-specular) ausgenutzt. Dazu werden die Experimente häufig unter streifendem Einfall (GI: grazing incidence) in der Nähe des Totalreflexionswinkels durchgeführt. Unterhalb des Totalreflexionswinkels lässt sich die Eindringtiefe des evaneszenten Feldes über den Einfallswinkel steuern, sodass hier laterale Strukturen in verschiedenen Abständen zur Oberfläche gemessen werden können. Je nach erwarteter charakteristischer Länge wird an einem Diffraktometer (große Winkel, GID) oder an einer Kleinwinkelstreuanlage (SAS: small angle scattering) GISAXS (Röntgenstreuung) bzw. GISANS (Neutronenstreuung) gemessen (Abb.1).

Interne Struktur (senkrecht und lateral): Da die meisten Polymere keine ausgeprägten Unterschiede im optischen Brechungsindex oder in der Elektronendichte aufweisen, sind Ellipsometrie und Röntgenstreuung häufig nicht geeignet, die interne Struktur innerhalb einer Polymerbeschichtung aufzuklären. Hier erweist sich Neutronenstreuung als hilfreich. Mittels Kontrastvariation, d.h. einer Kombination aus deuterierten und nicht-deuterierten Polymeren können innere Strukturen aufgeklärt werden. Zur Lokalisierung von Lösungsmitteln werden häufig deuterierte Lösungsmittel eingesetzt. So können innere Rauigkeiten und Größen von Domänen, wie sie z.B. bei Mikro-Phasenseparation auftreten, bestimmt werden. Gerade bei mehrkomponentigen Beschichtungen, die z.B. aus mehreren Polymersorten, Polymer-Tensid-Gemischen oder Polymeren und Metall-Nano-Partikeln bestehen und dazu noch im Lösungsmittel gequollen sind, hat sich die Kontrastvariation als sehr geeignet herausgestellt, um die einzelnen Komponenten und das Lösungsmittel zu lokalisieren. Dafür werden die Daten für unterschiedliche Kontrastierungen des gleichen Systems simultan gefittet unter der Annahme, dass sich die Struktur des Systems durch die unterschiedlichen Deuterierungen nicht verändert [2]. Durch die Tatsache, dass z.B. ein trockener Polyelektrolytfilm (bei annähernd 0 % Luftfeuchtigkeit) immer noch Gaseinschlüsse („Löcher“) aufweist, kann der Wassergehalt nicht allein über die Volumenzunahme bestimmt werden, denn ein Teil des Wassers lagert sich in die Löcher ein, ändert somit den Brechungsindex, trägt aber nicht zum Quellen bei [3]. Die Lösungsmittelaufnahme bestimmt nicht nur die Struktur, sondern auch auf die Dynamik der Polymerketten.

Charakterisierung der Dynamik

Geeignete Methoden zum Vermessen der Dynamik von Polymerketten sind beispielsweise dielektrische Spektroskopie, NMR oder auch Neutronenspinecho-Spektroskopie (NSES). Da die gemessene Signalstärke an Oberflächen gering ist, werden häufig polymerbeschichtete Partikel in Lösung untersucht, um so eine möglichst große Oberfläche vermessen zu können. In neuerer Zeit sind NSE-Messungen unter streifendem Einfall (GINSES) an planaren Oberflächen durchgeführt worden [4]. In Analogie zu den oben beschriebenen GISANS-Messungen kann hier durch Variation des Einfallswinkels die Dynamik in verschiedenen Abständen von der Oberfläche vermessen werden. Die Kettendynamik hat einen Einfluss auf Relaxationsprozesse, die mit mechanischen und rheologischen Experimenten vermessen werden.

Nanomechanik und Nanorheologie

Um die mechanischen Eigenschaften von Polymerbeschichtungen zu ermitteln, werden sogenannte Indentationsexperimente durchgeführt. Dabei wird ein Stempel (indenter) in die Polymerbeschichtung gedrückt, die Kraft gemessen und das Elastizitätsmodul mittels entsprechender Modelle berechnet. Häufig reicht das einfache Hertz-Modell zur Beschreibung aus. Die Kontaktfläche des Indenters bestimmt die lokale Auflösung. Mit einer AFM-Spitze als Indenter können Auflösungen von einigen 10 nm erreicht werden [5] und so Inhomogenitäten in der Polymerbeschichtung, wie z. B. in inhomogenen Netzwerken identifiziert werden. Relaxationsexperimente entweder bei konstanter Verformung (stress relaxation) oder konstanter Kraft (creep compliance) weisen darauf hin, dass es neben den

elastischen Beiträgen auch viskose Anteile gibt. Um diese beiden Anteile separieren zu können, werden dynamische Indentationsexperimente mit angeregtem AFM-Federbalken (cantilever) durchgeführt werden. Zunächst wird der Cantilever 100 bis 200 nm in die Beschichtung eingedrückt und dann zu Schwingungen zwischen 0 und 1000 Hz mit einer Amplitude von ca. 10 nm angeregt. Aus der Änderung der Amplitude und der Phase der Cantilever-Schwingung kann dann das Speichermodul E´ und das Verlustmodul E´´ bestimmt werden. Die E-Moduli für Polymerbeschichtungen liegen meistens in der Größenordnung von kPa bis MPa. Typische Werte für den Verlustfaktor (loss tangent) E´´/E´ liegen zwischen 0.01 bis 0.5 (Abb.2, [6]). Als weitere Methode zur Bestimmung rheologischer Parameter von Polymerbeschichtungen bietet sich QCM-D (D: Dissipation) an. Die angelegte Frequenz liegt in der Größenordnung von MHz. Eine ortsaufgelöste Messung ist hier jedoch nicht möglich.

Zusammenfassung und Ausblick

Neben der Struktur ist für viele Anwendungen, in denen die Antwort der Polymerbeschichtungen auf äußere chemische oder physikalische Stimuli eine Rolle spielt, die Dynamik von Polymerbeschichtungen von besonderer Bedeutung. Die Herausforderung besteht in der geringen Signalstärke, die an Oberflächen gemessen wird. Für ein besseres Verständnis und die Kontrolle von dynamischen Prozessen ist die Neu- bzw. Weiterentwicklung von Methoden zur Bestimmung der Dynamik von Polymerketten oder -sequenzen an Grenzflächen wie z. B. der Neutronen-Spinecho-Methode unter streifendem Einfall unbedingt erforderlich.

Autorin: Prof. Dr. Regine von Klitzing,   
Fachgebiet Weiche Materie an Grenzflächen, Fachbereich Physik, TU Darmstadt
Redaktionelle Bearbeitung: Maren Mielck, GDCh

Referenzen:

1

T. Kyrey et al., Polymer (2019) 169 29.

2

D. Boyacian et al., J. Chem. Phys. (2018) 149 163322.

3

O. Löhmann et al., Langmuir (2018) 34 11518.

4

S. Wellert et al., Coll. Polym. Sci. (2018) 296 2005.

5

S. Backes, R. v. Klitzing, Polymers (2018) 10 978.

6

J. Hellwig et al., Langmuir (2016) 32 10505.

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

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