Personalisierte Medizin:
Das Ende der Blockbuster –
jedem Patient sein eigenes Medikament

 

Folge 14: Aktuelle Chemie 2019 – Medizin und Gesundheit

Was tun, wenn sich ein Medikament negativ auf den Therapieverlauf eines Patienten auswirkt? Die personalisierte Medizin greift dann, wenn Standardmedikamente nicht mehr helfen. Sie nutzt genetische Merkmale zur Behandlungsentscheidung.

Was bedeutet personalisierte Medizin?

Angina ist eine bakterielle Infektion, gegen die im Normalfall ein Antibiotikum wie Amoxicillin wirkt. Bei anderen Erkrankungen gibt es jedoch Medikamente und Therapiebehandlungen, die nicht bei jedem Patienten gleich wirken. Einige heilt ein Standardmedikament, bei anderen Betroffenen prägt sich dieses aufgrund von Nebenwirkungen negativ auf den Therapieverlauf aus oder ist nicht wirksam. Dies lässt sich unter anderem auf genetische Merkmale zurückführen, die bei jedem Patienten variieren. Daraus resultieren unterschiedliche Therapieverläufe trotz gleicher Erkrankung und Behandlungsweise. In solchen Fällen berücksichtigen die Ärzte für die Behandlung nicht nur die Diagnose, sondern auch die biologisch-genetische Ausstattung des Patienten. Genetische, molekulare oder zelluläre Merkmale, „Biomarker“ genannt, sind entscheidend, ob eine Therapie förderlich ist oder nicht. Dazu zählen Mutationen, Veränderungen des Erbguts. Bei Patienten, die an der gleichen Krebsart leiden, sind nicht unbedingt dieselben Mutationen zu finden. So lassen sich Erkrankte auf Basis der Mutationen in Gruppen einteilen, die jeweils ähnlich behandelt werden.

Anwendung

Bisher findet die personalisierte Medizin vor allem in der Onkologie, bei Krebserkrankungen, Anwendung. Vereinzelt werden personalisierte Behandlungen auch für andere Krankheiten wie Virus- und Herz-Kreislauferkrankungen empfohlen. Wissenschaftler forschen in unterschiedlichen Fachgebieten wie der Kardiologie, Infektiologie und der Neurologie. Für knapp 70 Medikamente sieht die Europäische Medizinische Agentur mittlerweile vorrausgehende Gendiagnostik vor, für über die Hälfte davon sind solche Analysen Pflicht.

Wirkt das Medikament oder nicht?

Bei der Zellteilung kann es zu Fehlern im Erbgut kommen. Gesunde Körperzellen können diese korrigieren, doch Krebszellen teilen sich unkontrolliert. Als Folge werden Mutationen in DNA-Sequenzen nicht mehr repariert und die Schäden häufen sich. Tumore weisen meist mehrere hunderte Mutationen in ihrem Genom auf. 

Cetuximab und Panitumumab sind Medikamente zur Behandlung von Darmkrebs. Allerdings wirken sie nur dann, wenn ein bestimmtes Gen, das RAS-Gen, nicht mutiert ist. Ob dieses verändert ist, untersucht ein Vortest mittels einer Probe von Tumorgewebe. Gängig ist die Gen-Panel-Analyse, die mit dem Next Generation Sequencing (NGS) meist zwischen 100 und 1000 Gene analysiert. Das NGS vervielfältig eine große Menge an Fragmenten der DNA. Dabei wird die Abfolge der Nukleinsäuren sichtbar und das Labor erkennt Fehler in der DNA-Sequenz. Ist nun bei einem Darmkrebspatienten das RAS-Gen verändert, wirken Centuximab und Panitumumab nicht. Dies trifft auf rund 40 Prozent der an Darmkrebs Erkrankten zu. Für beide Medikamente ist eine genetische Untersuchung vor dem Therapiestart vorgeschrieben. 

Die meisten Vortests untersuchen, ob ein Medikament bei dem jeweiligen Patienten wirkt oder nicht. Die Dosierung erfolgt überwiegend nach Leitlinien, sofern die Voruntersuchung positiv ausfällt. Auch Blutproben dienen zur molekularen Diagnostik, wie für blutverdünnende Medikamente der Kardiologie.

Sind die Standardtherapien ausgeschöpft, werden die molekularen Analysen eingesetzt. Ein interdisziplinäres Team aus Ärzten und Wissenschaftlern beratschlagen die Daten der Analysen im sogenannten molekularen Tumorboard. Für eine alternative Behandlung berücksichtigen die Ärzte neben der Diagnose und den Daten der Vortests auch die Vorgeschichte des Patienten.

Effektivität durch frühes Erkennen

Mithilfe der Gendiagnostik können Ärzte schneller eine wirksame Therapie einlenken und somit frühzeitig in den Krankheitsverlauf eingreifen, im Beispiel in das Tumorgeschehen. So lassen sich mögliche Nebenwirkungen vermeiden und die Therapie wirkt effektiver. Starten die Ärzte zeitnah nach der Diagnose mit der für den Erkrankten geeigneten Behandlung, lassen sich Kosten einsparen. Allerdings sind die Gendiagnostik sowie die Therapie selbst zum Teil teuer, weshalb der Einsatz personalisierter Medizin noch nicht breit etabliert ist. Vielmehr wird sie an speziellen Zentren qualitätskontrolliert angewandt. 

Das Ende der Blockbuster?

Trotz, dass personalisierte Medizin gezielte Therapien verspricht, sieht Dr. rer. nat. Yvonne Möller, Geschäftsführerin und Koordinatorin des Zentrums für personalisierte Medizin Tübingen, das Ende des „one size fits all“ kritisch: „Erst wenn es keine Option mehr gibt, kommt die personalisierte Medizin zum Zuge. Aber auch hier zeigen viele Patienten gleiche Signale, Symptome und genetische Merkmale, die dann zu einer breiten Gruppe zusammengefasst werden können.“ Im Falle von Krebs versprechen die gängigen Behandlungen wie Bestrahlung, Chemotherapie und Operation bei den meisten Patienten heilende Wirkung. Daher sei es nicht sinnvoll, grundsätzlich weg von bewährten Medikamenten zu gehen, betont Yvonne Möller. „Die meisten Patienten sprechen auf Standardmedikamente an. Abgesehen davon ist das vollständige Ende der Blockbuster ökonomisch in weiter Ferne, da die Entwicklung von Medikamenten sehr teuer sowie zeitlich aufwendig ist“, so Möller weiter. 

Vermehrt personalisierte Medizin in Zukunft 

Um ausschließlich das Konzept der personalisierten Therapie praktizieren zu können, wäre noch tiefere Grundlagenforschung nötig, stellt Möller klar. In Zukunft werde es vermehrt personalisierte Medizin für unterschiedliche Fachbereiche geben. Möller ist sich sicher: „Die Analysen werden immer günstiger, die Versorgungsleistungen der personalisierten Medizin im Leistungsspektrum der Kassen besser abgedeckt werden und somit die individuelle Behandlung in Zukunft breitere Anwendung finden.“

Wissenschaftliche Beratung: Dr. rer. nat. Yvonne Möller (Geschäftsführerin ZPM Zentrum für Personalisierte Medizin Tübingen)

Lisa Süssmuth

freie Wissenschaftsjournalistin

1

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (https://www.leitbegriffe.bzga.de/bot_angebote_idx-160.html)

2

Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., Stand: 27.06.2019

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