Tattoos – Chemiecocktails unter der Haut

 

Folge 8: Aktuelle Chemie 2019 – Medizin und Gesundheit

Kaiserin Sissi trug einen Anker auf der Schulter, der berühmte Eiszeitmann Ötzi hatte gar 61 verschiedene Zeichen auf seiner Haut (und das vor über 5200 Jahren!), und bei manchen Profifußballern hat man das Gefühl, sie verbringen mehr Zeit in einem Tattoostudio als auf dem Spielfeld. Tätowierungen sind aktuell bei vielen Zeitgenossen wieder angesagt und gesellschaftsfähig geworden, auch weil bisweilen wahre Kunstwerke die Haut zieren. Schätzungen zufolge sind allein in Deutschland ca. 18 bis 20 Millionen Menschen tätowiert, europaweit darf man von über 100 Millionen ausgehen. 

Über die ästhetische Note von Tätowierungen lässt sich sicherlich streiten (manche Chemiker haben sich sogar das Periodensystem der Elemente oder einzelne Moleküle stechen lassen), unbestreitbar jedoch ist, dass ein Tattoo eine Entscheidung fürs Leben ist. Denn einmal unter die Haut gebracht, hält es im Idealfall ein Leben lang. Welche Langzeitfolgen die Farbpigmente auf den Körper haben, ist derzeit kaum abzuschätzen, da es keine repräsentativen klinischen und dermatologischen Studien gibt und Feldversuche etwa an Schweinen aus Tierschutzgründen bei uns verboten sind. 

Man könnte Tätowierungen daher durchaus als schleichende chemische Zeitbombe unter der Haut bezeichnen, denn man weiß nicht, wie dieser Pigmentcocktail über Jahre mit dem Organismus reagiert. Dieser Meinung ist auch Klaus Roth, inzwischen emeritierter Professor an der Freien Universität Berlin, Institut für Chemie und Biochemie. Er sieht sich als Aufklärer in Sachen Tattoo und informiert in populärwissenschaftlichen Vorträgen etwa an Schulen über die Geschichte der Tätowierkunst, aber auch über die Chemie und die Risiken, die in den Tattoos stecken.

Von Ruß bis Kosmetikfarbstoffe

Chemisch gesehen kommen als Tattoofarben anorganische Pigmente aus Carbon Black (Ruß) und Titanweiß zum Einsatz, teilweise werden noch Eisenoxide für gelbe oder rote Farbanteile genutzt. Aufgrund des natürlichen Nickelanteils kann dies aber Allergien hervorrufen, so dass diese Farben auf dem Rückzug sind. Für die Farbenpracht auf der Haut sorgen heute überwiegend organische Pigmente. „Früher, schon zu Lebzeiten von Ötzi, wurde Ruß oder Kohle archaisch in die Haut eingeritzt. Außer Kohlenstoff steckt da natürlich wenig Chemie drin. Auch heute dominiert diese schwarze Farbe. Die farbigen Tattoostoffe kamen erst ab den 1970er Jahren auf. Allerdings werden diese nicht extra entwickelt, sondern basieren auf Baufarben oder auf Lackfarbstoffen, wie sie beispielsweise in der Automobilindustrie genutzt werden. Sogar fluoreszierende Farben sind möglich“, sagt Klaus Roth. 

Farbstoffe für Kosmetika werden ebenfalls genutzt. Problem: Es gibt kein Zulassungsverfahren und keine Positivliste für Tätowierfarben und auch keine klinische Prüfung. „Aber alles, was nicht in Kosmetika enthalten sein darf, ist auch in Tätowierfarben verboten. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass Kosmetika üblicherweise nur auf die Haut aufgebracht, aber nicht injiziert werden. Letzteres birgt ein sehr viel höheres Gefahrenpotential“, erläutert Prof. Christa Müller, Leiterin der Abteilung Pharmazeutische & Medizinische Chemie am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn. „Die als wässrige Suspensionen eingesetzten Farbpigmente können mikrobiell verunreinigt sein. Deshalb enthalten die Farbpigment-Suspensionen meist Konservierungsmittel, häufig Benzoisothiazolinon. Diese Stoffe können wiederum hautreizend sein oder allergen wirken.“

Was zeichnet aber nun eine gute Tattoofarbe aus? Sie muss vor allem eine Pigmentfarbe sein, die sich nicht auflöst, an Ort und Stelle von der Haut eingekapselt wird und dort verbleibt. Sie muss lichtstabil sein, damit sie nicht mit der Zeit verblasst. Idealerweise handelt es sich um eine nicht-Newtonsche Flüssigkeit, die je nach Scherkräften fest oder flüssig ist. Diese Eigenschaft ist wichtig beim Einbringen der Farbe unter die Haut. Die Kunst des Tätowierens beginnt dabei mit dem ersten Nadelstich. Heute werden mit modernen feinnadeligen Tätowiermaschinen in hoher Stichfrequenz die Farben bis zu zwei Millimeter unter die Haut eingebracht – ohne Betäubung, denn selbst ausgebildete Tätowierkünstler dürfen nicht betäuben. Beim Einbringen der Nadel in die Haut kann die zunächst dickflüssige Farbe unter Druck leichtflüssig in die Hautschicht fließen. Wird die Nadel entfernt, wird die Farbe wieder dickflüssig und verläuft nicht mehr. Wenn die eingeführte Farbe zur Ruhe kommt, dürfen die mikrofeinen Farbpigmente nicht verklumpen bzw. koagulieren. „Wird zu viel Farbe eingebracht, entstehen unästhetische Hauterhebungen. Nach dem Tätowieren entzündet sich die verletzte Haut, und es kommt zu einer Einwanderung von Hautmakrophagen, die die Pigmente aufnehmen und diese umschließen. Dann klingt die Entzündung ab, und die Pigmente verbleiben größtenteils in der Haut. Da es sich beim Stechen um eine Verletzung der Epidermis handelt, besteht die Gefahr von Infektionen“, warnt Prof. Müller. „Tätowierungen können zu allergischen Reaktionen, zu chronischen Entzündungen, und sogar zu dauerhafter Lichtempfindlichkeit führen, wobei klassische Tätowierungen mit Kohlenstoff- oder Titandioxid-Pigmenten im Allgemeinen am verträglichsten sind.“ 

Tattoos entfernen – schwierig und schmerzhaft

Einmal in die Haut eingebracht ist es schwer, die Farben wieder loszuwerden. Und Risiken sind durchaus gegeben, wenn auch selten. Starke Sonneneinstrahlung kann bei bestimmten Farbstoffen zum Verblassen führen. Die Zerfallsprodukte verschwinden allerdings nicht, sondern verbleiben in der Haut oder werden vom Immunsystem abtransportiert und können sich in den Lymphknoten anreichern. Auch allergische Reaktionen können durch die Lichteinstrahlung hervorgerufen werden, als Reaktion auf bestimmte Zersetzungsprodukte. Und bei einer Kernspintomografie kann es passieren, dass Eisenoxid-haltige Farbpartikel stark erwärmt werden. Da aber heute kaum noch solche Farben verwendet werden, ist diese Gefahr relativ gering. „Das grundlegende Problem ist: Die Farbpigmente sind nicht umfassend pharmakologisch und toxikologisch untersucht, denn wer sollte das bezahlen? Die Farbenindustrie macht über 99 % des Umsatzes mit Baufarben und Lacken, daher ist das Interesse an einer teuren medizinischen Untersuchung der Farben nicht gegeben. Das ist auch nicht deren Aufgabe. Das ist dann gewissermaßen das Restrisiko für die Tätowierten“, betont Prof. Klaus Roth.

Spannend und schmerzhaft wird es auch, wenn ein Tattoo wieder entfernt werden soll. Die Methode der Wahl ist es, die Motive mit einer Laserbehandlung Punkt für Punkt aus der Haut zu brennen. Besonders problematisch ist dabei der Abbau von Azofarbstoffen. Dabei entstehende unpolare primäre aromatische Amine können karzinogen wirken. Chemisch bedenklich kann es werden, wenn z.B. das einzige in Europa verwendete Blaupigment Kupferphthalocyanin mit dem Laser beschossen wird, denn am Ende der Reaktionskette können dabei auch Blausäure und Benzol entstehen. Im Reagenzglas konnte dies das Bundesinstitut für Risikobewertung nachweisen.

Letztlich ist es jedermanns eigene Entscheidung, sich ein Tattoo stechen zu lassen. „So schön und bedeutsam Tattoos auch sein können. Jeder der sich einer solchen Prozedur unterzieht, sollte sich aber im Klaren sein, dass die Farbchemie sprichwörtlich ein Leben lang unter die Haut geht und die Risiken nicht kalkulierbar sind“, sagt Klaus Roth und empfiehlt daher: „Think before you ink.“

Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Christa Müller (Leiterin der Abteilung Pharmazeutische & Medizinische Chemie am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn) und Prof. Dr. Klaus Roth (emeritierter Professor an der Freien Universität Berlin, Institut für Chemie und Biochemie)

Dr. Jörg Wetterau

Labor für Kommunikation, Linsengericht

Lesenswertes zum Thema:

„Vom Pigment zum Porträt: To Tattoo or not to Tattoo“, Prof. Klaus Roth & Dr. Henrik Petersen, Chem. Unserer Zeit, 2016, 50, 44-66

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