Bisphenol A: Gefährlich oder nicht? Ein Blick auf die verschiedenen Perspektiven

 

In jüngster Zeit ließen Pressemitteilungen mit Schlagzeilen wie „Macht Essen aus der Dose krank?“, „Die Dose macht das Gift!“ oder „BPA in Konserven: Die Dose hat ein Problem“ aufhorchen. Auslöser all dieser Meldungen war die Chemikalie „Bisphenol A“ (abgekürzt: BPA, Abb. 1). Der offizielle Name nach IUPAC lautet 4-[2-(4-hydroxyphenyl)propan-2-yl]phenol). 

So publizierte etwa die Stiftung Warentest, dass in 51 von 58 Proben (gesammelt im November/Dezember 2023) PBA in den Inhalten von beschichteten Konservendosen nachgewiesen wurde. Besonders Suppen und Eintöpfe waren belastet. Die Chemikalie BPA wurde in diesen Nahrungsmittelproben mit Flüssigchromatographie in Kombination mit der Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) nachgewiesen [1]. 

Wofür wird Bisphenol A (BPA) gebraucht?

Bisphenol A ist ein wichtiger Bestandteil bei der Herstellung von Epoxidharzen. Epoxidharze werden zum Beispiel für Oberflächenbeschichtungen genutzt. Ein häufiges Anwendungsgebiet ist die Beschichtung von Getränke- und Konservendosen, die üblicherweise aus Weißblech oder Aluminium bestehen. Durch die Beschichtung werden die Lebensmittel vor der Korrosion der Metalle geschützt. 

Auch zur Herstellung von Polycarbonat wird Bisphenol A eingesetzt [2]. Viele Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie beispielsweise Smartphone-Gehäuse oder CDs, Brillengläser, Visiere von Schutz- oder Motorrad-Helmen, aber auch Trinkflaschen enthalten oder bestehen aus Polycarbonat, denn dieser Stoff vereint ein geringes Gewicht mit einer hohen Haltbarkeit, Bruchfestigkeit und Beständigkeit gegen Hitze und Chemikalien. Mehr zu den Anwendungsgebieten finden sich weiter unten in diesem Beitrag und in einem weiteren Artikel hier auf FaszinationChemie.

Wie gefährlich ist Bisphenol A?

Gerade weil Bisphenol A bei der Synthese vieler Alltagsgegenstände beteiligt ist und in vielen Fällen nicht einfach ersetzt werden kann, ist es eine wichtige Frage, ob sich in den Materialien, die aus Bisphenol A hergestellt werden, noch Reste dieses Stoffes befinden und wenn ja, wie gesundheitsgefährdend die Chemikalie ist.

Während die mit Bisphenol A hergestellten Kunststoffe selbst chemisch stabil sind und von ihnen keine Gefährdung ausgeht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese noch Rückstände der Ausgangssubstanzen enthalten, die mit der Nahrung aufgenommen werden. Auch Luft, Staub und Wasser (auch Trinkwasser) könnten mögliche Quellen für BPA sein [2a]. 

Sehen wir uns also an, wer sich alles mit Bisphenol A und seiner potenziellen Gefährlichkeit befasst hat und zu welchen Ergebnissen die verschiedenen Institutionen gelangt sind.

Heftige Diskussion um Neubewertung

Ausgangspunkt all dieser Berichte war eine Neubewertung der Chemikalie durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) im Jahr 2023. (Zu den Aufgaben der EFSA s. Infokasten unten)

Bisphenol A war bereits seit vielen Jahren Gegenstand einer Reihe von Sicherheitsbewertungen. Und im Jahr 2023 hat die EFSA die offizielle Empfehlung ausgesprochen, den bisherigen Richtwert für die Aufnahme von Bisphenol A über Lebensmittel von 4 Mikrogramm (=4000 Nanogramm) auf 0,2 Nanogramm, also um den Faktor 20.000, abzusenken.

Schon seit Dezember 2017 wird Bisphenol A von der Europäischen Chemikalienagentur (European Chemicals Agency, ECHA) aufgrund ihrer reproduktionstoxischen Eigenschaften und ihrer Wirkung als „endokriner Disruptor“ als „besonders besorgniserregende“ Chemikalie angesehen. Unter einem „endokrinen Disruptor“ versteht man einen Stoff, der im menschlichen Organismus eine hormonähnliche Wirkung auslösen kann. (Zu den Aufgaben der ECHA s. Infokasten unten)

Grenzwert wurde kontinuierlich gesenkt

Als eine wichtige Richtgröße zur Risikobewertung von Stoffen dient der TDI-Wert (Tolerable Daily Intake). Mit dieser duldbaren täglichen Aufnahmemenge wird abgeschätzt, welche Menge eines beliebigen Stoffes über die gesamte Lebensdauer eines Menschen pro Tag aufgenommen werden kann, ohne dass die aufgenommene Menge spürbare Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Der TDI-Wert wird vor allem bei Verunreinigungen in Lebens- und Futtermitteln angegeben. 

Schon im Jahr 2006 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine erste Risikobewertung zu Bisphenol A abgegeben. Seit dieser Zeit befindet sich Bisphenol A im Rahmen einer Stoffbewertung in einem fortlaufenden Aktionsplan. Damals, also 2006, wurde eine zumutbare tägliche Aufnahmemenge von 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht festgesetzt. Ein Mikrogramm (μg) ist der millionste Teil eines Gramms (0,000 001 g). 

Im Jahr 2015 hat die EFSA das Gesundheitsrisiko von BPA neu bewertet und dabei einen vorläufigen TDI-Wert von 4 Mikrogramm pro kg Körpergewicht und Tag empfohlen. Vorläufig war dieser Richtwert deshalb, weil die EFSA noch die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Langzeitstudie aus den USA zu BPA abwarten wollte. 

Im April 2023 schließlich veröffentlichte die EFSA ein neues Gutachten und empfahl der EU-Kommission und den Vertretern der Mitgliedsstaaten, den TDI-Wert noch weiter herabzusetzen, nämlich auf 0,2 Nanogramm pro kg Körpergewicht und Tag. Ein Nanogramm (ng) ist der milliardste Teil eines Gramms (0,000 000 001 g). [3,4]

Einspruch von anderen Behörden

Dagegen erhoben die European Medicines Agency (Europäische Arzneimittel-Agentur – EMA) sowie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Einspruch. (Zu den Aufgaben von EMA und BfR s. Infokasten unten)

Bei der Neubewertung des TDI-Wertes für BPA hatte die EFSA 2023 lediglich Studien aus den Jahren 2013 bis 2018 herangezogen und war dabei vor allem auf die Effekte von BPA auf das Immunsystem junger Mäuse fokussiert. Beide, EMA und BfR, waren jedoch der Meinung, dass für eine Neubewertung von BPA alle Studien einbezogen werden müssten, also auch solche vor 2013 und solche nach 2018. Zudem seien auch Studien zu berücksichtigen, die sich gegen ein signifikantes Gesundheitsrisiko von BPA für den Menschen bei bestimmten Anwendungen aussprechen. 

Nach Meinung des BfR sei auch die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Versuchen an jungen Mäusen nicht unmittelbar auf den Menschen möglich. Daher schlug das BfR im Jahr 2023 einen TDI-Wert von 200 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag vor [5]. Aber auch dieser TDI-Wert liegt immer noch deutlich unter dem bisherigen Schwellenwert. 

Verschiedene Einschätzungen führen zu einem Divergenz-Verfahren

Wenn Europäische Behörden zu denselben Sachverhalten unterschiedliche Bewertungen abgeben, setzt ein sogenanntes Divergenz-Verfahren ein. Die Behörden tauschen in gemeinsamen Sitzungen ihre Argumente aus und veröffentlichen ihre unterschiedlichen Stellungnahmen in einem gemeinsamen Papier. Diese Stellungnahmen von EFSA/EMA und von EFSA/BfR wurden 2023 veröffentlicht [6,7]. 

In beiden Dokumenten steht sinngemäß drin, dass man sich nicht auf eine gemeinsame Interpretation der vorhandenen Daten verständigen kann und beide Organisationen bei ihren ursprünglichen Bewertungen bleiben. 

Unterschiedliche Behörden – unterschiedliche Ansichten

Auch wenn das zunächst merkwürdig klingt, ist es wichtig zu wissen, dass es in der Wissenschaft häufig vorkommt, dass Expertinnen und Experten die vorliegenden Daten unterschiedlich interpretieren. Es ist Teil der wissenschaftlichen Diskussionskultur, diese unterschiedlichen Ansichten transparent aufzuzeigen. Weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden in den kommenden Jahren auf diesem Gebiet forschen und neue Studien veröffentlichen, die die existierenden Theorien stützen oder widerlegen. Irgendwann wird es für eine der Interpretationen so stichhaltige Beweise geben, dass diese dann von der Fachwelt akzeptiert wird. Dies ist ein normaler Prozess in der wissenschaftlichen Forschung.

Neuester Stand: Verbot von Bisphenol A (BPA) in Lebensmittelkontaktmaterialien

Im Dezember 2024 hat die Europäische Kommission aufgrund der jüngsten Risikobewertung der EFSA das Verbot von Bisphenol A (BPA) in Lebensmittelkontaktmaterialien eingeführt. Als Lebensmittelkontaktmaterialien gelten alle Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln und Getränken in Berührung zu kommen, wie Behältnisse, Verpackungen, Küchengeräte, Besteck und Geschirr [8]. Damit darf Bisphenol A nicht mehr für die Herstellung dieser Materialien verwendet werden. Allerdings gelten lange Übergangsfristen [9, 10, 11, 12, 13].

Anwendungen von Bisphenol A

Wie schon erwähnt, ist Bisphenol A ist ein wichtiger Bestandteil der Herstellung vieler Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Es wurde 1891 erstmals von einem russischen Chemiker synthetisiert. Die Darstellung erfolgt heute durch sauer katalysierte Reaktion von zwei Teilen Phenol [C6H5-OH] mit einem Teil Aceton [(CH3)2C=O]. (Der Buchstabe A im Bisphenol A steht für Aceton). Weitere Informationen, wie Bisphenol A hergestellt wird, wo es überall verwendet wird und warum wir darauf nicht einfach verzichten können, werden im Beitrag von H. Ritter hier auf FaszinationChemie erläutert. 

Grundstoff für Herstellung von Polycarbonat…

Bisphenol A hat eine sehr große wirtschaftliche und technische Bedeutung. So ist BPA der Ausgangsstoff zur Herstellung der Kunststoffe Polycarbonat und Epoxidharz. Bisphenol-A-Polycarbonat wird seit Ende der 1950er Jahre großtechnisch produziert und wird z.B. unter dem Handelsnamen Makrolon vertrieben. BPA-Polycarbonat ist ein harter (schlagzäher), kratzfester, unzerbrechlicher und transparenter Kunststoff, der häufig an Stelle von Glas verwendet wird. 

So bestehen die 180 Fenster des Brüsseler Atomiums seit seiner Restaurierung im Jahr 2006 aus beschichtetem Polycarbonat. Auch für die Wahl eines Werkstoffes für den mit vielen Designer-Preisen ausgezeichneten Füllfederhalter Lamy 2000 war das Polymer Makrolon mehr als ungewöhnlich.

BPA wurde des Weiteren als Farbentwickler bei der Beschichtung von Thermopapieren (Kassenbons, Fax-Papierrollen, Parkscheine u.a.) eingesetzt. Dies ist EU-weit seit 2020 verboten. Aber schon 2018 hatten deutsche Discounter und Supermarktketten damit begonnen, die Kassenbons auf BPA-freie Alternativen umzustellen.

Bereits 2011 wurde die Verwendung von Bisphenol A zur Herstellung von Säuglingsflaschen aus Polycarbonat verboten. Das Verbot wurde 2018 allgemein auf Trinkgefäße und Flaschen aus Polycarbonat erweitert. Wie damals festgestellt wurde wird nämlich beim Erhitzen der Babyflaschen BPA freigesetzt.

… und von Epoxid-Harzen

Neben der Herstellung von Polycarbonaten dient Bisphenol A auch zur Herstellung von Epoxidharzen (durch Umsetzung von BPA mit Epichlorhydrin). Geschätzt basieren etwa 75% aller weltweit verwendeten Epoxidharze auf der Synthese mit BPA. 

Epoxidharze werden nicht nur als Schutzbeschichtungen und Innenauskleidung für Konserven sowie Getränkedosen eingesetzt. Sie dienen auch als Innenbeschichtung bei der Sanierung alter Wasserleitungen (Relining-Verfahren). Aus der letztgenannten Anwendung von Epoxidharzen resultiert die Empfehlung, aus so sanierten Leitungen nie heißes sondern nur kaltes Wasser zu trinken.

Darüber hinaus wird Bisphenol A in Polyvinylchlorid (PVC-Kunststoffe) als Antioxidationsmittel und Stabilisator eingesetzt. 

Aus Sicht von Verbraucherinnen und Verbrauchern ist es auf jeden Fall beruhigend zu wissen, dass die Risikobewertung von chemischen Stoffen unter REACH (engl.: Registration, Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals) funktioniert und so eine hohe Sicherheit gegenüber der Gesundheitsgefährdung von Konsumenten durch chemische Stoffe gewährleistet ist.


Der Beitrag wurde vom Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit der Seniorexperten Chemie, einer Fachgruppe der Gesellschaft Deutscher Chemiker, erstellt. 

Autor: Prof. Dr. Eberhard Ehlers (bearbeitet durch kjs, Redaktion FaszinationChemie)


In unserer Rubrik „Chemie überall“ geht es um chemische Verbindungen oder chemische Verfahren, die wir im Alltag nutzen oder um Substanzen, die immer mal wieder in den Schlagzeilen sind. Die Beiträge in leicht verständlicher Form sind von Chemikerinnen und Chemikern geschrieben. Alle Beiträge der Reihe: https://faszinationchemie.de/chemie-ueberall

EFSA, ECHA, EMA, BFR – Was für Behörden sind das und was machen die?

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority) mit Sitz in Parma/Italien ist eine Behörde der Europäischen Union (EU). Sie ist zuständig für die Risikobewertung aller Bereiche, die einen direkten oder indirekten Bezug zur Sicherheit von Lebensmitteln bzw. Futtermitteln haben. https://www.efsa.europa.eu/de

Die Europäische Chemikalienagentur ECHA (European Chemical Agency) mit Sitz in Helsinki/Finnland ist seit 2006 für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe innerhalb der Europäischen Union verantwortlich. Die ECHA ist eine rechtlich selbstständige, unabhängige Regulierungsbehörde, die u.a. von Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments geleitet wird.
https://www.echa.europa.eu/

Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA (European Medicines Agency) ist eine Behörde der Europäischen Union (EU), die für die Überwachung und wissenschaftliche Beurteilung von Arzneimitteln verantwortlich ist. Ihre Aufgabe ist die Erhaltung und Förderung der öffentlichen Gesundheit in der EU. https://www.ema.europa.eu/en/homepage

Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR hat die Aufgabe, die deutsche Bundesregierung in allen Fragen der Lebensmittelsicherheit, der Produktsicherheit, der gesamten Nahrungskette und des gesundheitlichen Verbraucherschutzes zu beraten. Die Behörde gehört als Anstalt des öffentlichen Rechts zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). https://www.bfr.bund.de/de/start.html

Quellen

[1] https://www.test.de/BPA-in-Konserven-Die-Dose-hat-ein-Problem-6110181-0/ 

[2] https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/chemikalien-reach/stoffgruppen/bisphenol-a#was-ist-bisphenol-a 

[2a] https://www.bfr.bund.de/de/bisphenol_a_in_alltagsprodukten__antworten_auf_haeufig_gestellte_fragen-7195.html 

[3] https://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/bisphenol

[4] https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/6857

[5] https://mobil.bfr.bund.de/cm/343/bisphenol-a-bfr-schlaegt-gesundheitsbasierten-richtwert-vor-fuer-eine-vollstaendige-risikobewertung-werden-aktuelle-expositionsdaten-benoetigt.pdf

[6] https://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/2023-04/bfr-efsa-art-30.pdf) (Report on diverging views between EFSA and BfR on EFSA updated bisphenol A assessment)

[7] https://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/2023-04/ema-efsa-article-30.pdf 
(Report on divergent views between EFSA and EMA on EFSA’s updated bisphenol A assessment)

[8] https://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/food-contact-materials 

[9] https://www.bmel.de/DE/themen/verbraucherschutz/lebensmittelsicherheit/lebensmittelverpackungen/bisphenol-a-vorsorglich-verboten.html 

[10]  https://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/bisphenol

[11]  https://food.ec.europa.eu/food-safety-news-0/commission-adopts-ban-bisphenol-food-contact-materials-2024-12-19_en 

[12]  https://germany.representation.ec.europa.eu/news/nach-zustimmung-der-eu-staaten-kommission-beschliesst-verbot-von-bisphenol-2024-12-19_de

[13] https://www.test.de/Bisphenol-A-Taegliche-Aufnahmemenge-soll-drastisch-sinken-5846131-0/ 

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